ZEITSPIEL weekly

17.4.2023

Pro Schiedsrichter!


Von Tim Frohwein 

 

Eine Landesliga-Partie in der baden-württembergischen Provinz. Rund 250 Zuschauende haben sich auf dem Sportplatz des 5.000-Einwohner-Örtchens eingefunden. Die Mannschaften betreten den Rasen, angeführt vom Unparteiischen-Trio, das heute aus einem Mann und zwei Frauen besteht. Ein seltener Anblick, denn Frauen machten in der Saison 2021/22 laut DFB-Statistik nur vier Prozent der rund 50.000 aktiven Unparteiischen aus. Im Gebiet des Württembergischen Fußballverbandes ist die Anzahl der Schiedsrichterinnen sogar von 209 (2019) auf 174 (2020) gesunken – auch, aber sicherlich nicht nur wegen der Pandemie.

Nun liest und hört man aktuell viel darüber, dass Sportvereinen gerade in Großstädten die Türen eingerannt werden – Menschen, die Lust auf die Schiedsrichterei haben, sind unter den Neumitgliedern jedoch weiterhin kaum zu finden. Die Zahl der aktiven Unparteiischen ist seit Jahren rückläufig, der Job einfach zu unattraktiv – vor allem für Frauen: Sie berichten laut den Umfragen der Schiedsrichterforscherin Thaya Vester (noch) häufiger davon, diskriminiert und angepöbelt zu werden als ihre männlichen Kollegen.

Um mehr Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter zu gewinnen, hat der DFB kurz vor Ostern das „Jahr der Schiris“ ausgerufen. Mit Hilfe von „kleineren und größeren Maßnahmen“ in ganz Deutschland soll auf den Schiedsrichter-Schwund aufmerksam gemacht werden. Ungewöhnlich deutlich nimmt DFB-Vizepräsident Ronny Zimmermann im begleitenden Kommuniqué die Vereine in die Pflicht: „Vor allem die Vereine müssen endlich erkennen, dass sie sich um die Schiris kümmern müssen und dies nicht allein Sache der Verbände ist“, wird er zitiert. Es müsse sich an der Basis eine Kultur ausbilden, in der es nicht mehr heißt: „Warum tust Du Dir das an? Sondern: Darum ist es cool, Schiri zu sein.“

Man kann nur hoffen, dass Zimmermann nicht schon an einer Kampagne wie „Die Rekruten“, eine viel kritisierte Bundeswehr-Webserie, arbeiten lässt, um diesen Imagewandel herbeizuführen. Denn etwas in "etwas Cooles" zu verwandeln - daran sind schon ganz andere gescheitert.

Andererseits ist es absolut richtig, immer wieder und öffentlichkeitswirksam darauf zu verweisen, dass den Schiedsrichtenden mehr Wertschätzung entgegengebracht werden muss. Weil sie elementarer Bestandteil des Fußballs sind – und weil sie das Spiel in den meisten Fällen genauso lieben, wie alle anderen Protagonisten.

Von seiner Liebe zum Spiel spricht Bundesliga-Schiedsrichter Felix Zwayer in einem neuen Podcast: „Ich war über ein Jahr nicht aktiv und ich wollte eigentlich nur meiner Leidenschaft, der Schiedsrichter-Tätigkeit auf dem Platz, nachgehen“, erzählt er dort. Man ahnt es: Es geht um den Fall Hoyzer, dem größten Bundesliga-Skandal der jüngeren Vergangenheit, in dem auch Zwayer eine Rolle spielte. Der Journalist Laurenz Schreiner arbeitet diesen Skandal im hörenswerten Podcast „Hoyzer – Verrat am Fußball“ in mehreren Folgen auf – und hat es geschafft, Felix Zwayer für ein Interview vors Mikrofon zu bekommen. Zwayer war im Jahr 2004 derjenige, der seinen DFB-Vorgesetzten den Verdacht meldete, Hoyzer manipuliere mutmaßlich Spiele gegen Geld – womit er die Affäre ins Rollen brachte. Als Hoyzer wenige Monate später alles gestand, bezichtigte er wiederum Zwayer, ebenfalls Geld für eine Spielmanipulation angenommen zu haben. Zwayer wurde deshalb zeitweise vom DFB aus dem Verkehr gezogen.

Auch der Podcast vermag es nicht aufzuklären, ob Hoyzer mit seiner Beschuldigung einfach nur Rache üben wollte oder ob sich auch Zwayer etwas hat zu Schulden kommen lassen. Und das ist sicherlich kein Spoiler – hätten die Podcast-Recherchen etwas anderes zutage gefördert, hätte Zwayer letzten Donnerstag nicht das Europaleague-Viertelfinale zwischen Manchester United und dem FC Sevilla leiten dürfen.

Podcast-Autor Schreiber ist übrigens selbst Schiedsrichter im Berliner Amateurfußball. In einer Folge nimmt er uns mit auf den Platz: Verkabelt pfeift er ein Spiel, so dass man mitbekommt, wie herausfordernd diese Aufgabe ist. Dieser Perspektivwechsel, der wirklich Eindruck hinterlässt und darüber hinaus glaubhaft vermittelt, dass die Schiedsrichterei auch Spaß machen kann – in ihren Genuss sollten möglichst viele Menschen aus der Fußballwelt viel häufiger kommen.

Das geht zum Beispiel auch durch Dialogveranstaltungen in Vereinsheimen. Macht mehr Sinn, als den Leuten an der Basis zu sagen, dass sie Unparteiische ab sofort cool finden sollen.