ZEITSPIEL weekly

20.3.2023

Von Dietrich Schulze-Marmeling 

 

Meine Wochenendbetrachtung gilt dem Nachwuchs des Regionalligisten SC Preußen Münster. 


Freitagabend im Dortmunder Stadtteil Bövinghausen: In der Oberliga Westfalen empfängt das teuerste Team der Liga, das sich u.a. Kevin Großkreutz leistet und mit aller Macht in die Regionalliga will, die U23/2. Mannschaft der Preußen. Der Gast, nach 21 Spieltagen überraschend Spitzenreiter der Liga, tritt mit einem Team an, das auf einige Spieler verzichten muss – wegen Verletzungen oder Abordnung zu den Profis, die am nächsten Tag spielen und ebenfalls Verletzte beklagen. Am Freitagabend beträgt das Durchschnittsalter exakt 21 Jahre. Sechs der eingesetzten Akteure sind erst 19. Bis kurz vor dem Ende der Nachspielzeit führen die jungen Preußen mit 2:1, dann gelingt dem TuS Bövinghausen noch der Ausgleich. 


Bundesweit spielen nur 19 U21/U23-Mannschaften höher als die Preußen: zwei in der 3. Liga, 17 in der Regionalliga. Diese Mannschaften sind samt und sonders Zweitvertretungen von Bundes- und Zweitligisten. 13 der ersten Mannschaften spielen in der Bundesliga, sieben eine Etage tiefer. Die „Erste“ der Preußen ist, wie schon erwähnt, Regionalligist, wird aber wohl am Ende der Saison aufsteigen. 

Eine Liga unter der Regionalliga heißen die U21/U23 Topteams Eintracht Frankfurt, Spitzenreiter in der Hessenliga, und…Preußen Münster. Wobei die Preußen, anders als die Eintracht, nicht in die Regionalliga aufsteigen dürfen. Auch nicht im Falle des Aufstiegs der „Ersten“ in die 3. Liga. Aber in der 3. Liga werden die Preußen der Verein mit der klassenhöchsten zweiten Mannschaft sein. 

 

Die Preußen sind bislang kein NLZ-Verein. Das heißt: Der Verein ist ziemlich wehrlos, wenn sich andere Klubs an den Resultaten seiner Ausbildung bedienen. Am vorletzten Wochenende sind sowohl U19- wie U17 der Preußen aus der Bundesliga abgestiegen. Beiden Teams fehlten zwei Punkte zum Klassenerhalt. Der Abstieg kam auch deshalb zustande, weil die Verbandsfunktionäre eine fabelhafte Idee hatten. In den U19-und U17-Bundesligen West spielten die 16 Mannschaften eine EINFACH-Runde mit FÜNF Absteigern. FÜNF Absteiger ist ja schon extrem brutal, aber das Ganze auch noch als EINFACH-Runde mit nur 15 Spielen zu spielen… 

Wer immer sich dies ausgedacht hatte: Mit Entwicklung und Ausbildung hatte er wenig am Hut. Vereine wie die Preußen rekrutieren ihre Spieler in der Regel nicht aus den Akademien ausländischer Klubs und den NLZ anderer Vereine (Stichwort „NLZ-Tourismus“), sondern aus „unteren“ Ligen. Sie scouten nicht nur, nein, sie bilden auch aus, entwickeln Spieler. Sie machen also das, was der DFB ja eigentlich möchte. Auch weil sie dazu gezwungen sind, anders als der BVB oder der FC Bayern. 


Für den Saisonverlauf bedeutet dies, dass sie zu Beginn Probleme haben. In einer EINFACHrunde wird nicht unbedingt der belohnt, der mit seinen Spielern am besten arbeitet. Scharten aus den ersten Spielen können nicht mehr – durch Entwicklung – ausgewetzt werden. Man verliert am zweiten Spieltag gegen den Gegner, ist sich aber ziemlich sicher, dass man beim Wiedersehen in der Rückrunde so weit ist, diesen zu schlagen. 

Aus den ersten fünf Spielen holte die U19 der Preußen nicht einen Punkt. Aus den folgenden zehn Begegnungen 15 Punkte. Bayer Leverkusen wurde mit 3:1 geschlagen, dem Vizemeister 1. FC Köln unterlag man nur mit 0:1. 

Angesichts der Tatsache, dass der SCP kein NLZ-Verein ist, ist das Mitspielen in den Eliteklassen dieser Jahrgänge alles andere als selbstverständlich. 

 

Im Kicker vom 17.5.2021 kritisierte Oliver Ruhnert, Manager von Union Berlin, die NLZ-Politik des DFB und lobte die Nachwuchsarbeit von Preußen Münster: „Nachwuchsteams von Amateurklubs sind relativ oft stärker als die aus NLZ-Klubs. Wir haben inzwischen eine viel zu hohe Anzahl an Leistungszentren, viele davon existieren nur auf dem Papier. Preußen Münster ist ein Paradebeispiel für einen Verein ohne NLZ, der seit Jahren in allen Altersklassen in der Jugend-Bundesliga spielt - und das richtig gut. Die fallen gemäß DFB-Konzept einfach raus, sind aber viel, viel besser als viele Leistungszentren." 


Ruhnert kritisierte auch die Idee der Abschaffung der Junioren-Bundesliga zu Gunsten eines Spielbetriebs, an dem nur noch NLZ-Vereine teilnehmen dürfen. Als Ruhnert noch Trainer in Iserlohn war, schmiss die von ihm trainierte A-Jugend den frischgebackenen DFB-Pokalsieger Schalke 04 aus dem Westfalenpokal. Die „Knappen“ wurden von Norbert Elgert trainiert. Ruhnert: „Norbert sagt bis heute, er möchte diese unglaubliche Erfahrung für die Spieler nicht missen. Sie hat vielen geholfen, den nächsten Schritt zu gehen. Diese Symbiose aus Amateuren und kommenden Profis nicht mehr ausreichend darstellen zu können, hielte ich für ein wesentliches Manko.“ 


Zeitweise war es en vogue, die hauseigene U21/U23 abzuschaffen. Man ging davon, die Spieler würden es entweder im ersten Seniorenjahr in der Bundesliga packen oder nie. Auch finanzielle Überlegungen spielten eine Rolle. „Spätentwickler“ fielen durchs Netz. 

Auch Eintracht Frankfurt verabschiedete sich von seiner „Übergangsmannschaft“. Unter Markus Krösche wurde dieser Fehler korrigiert. Krösche war sich sicher, dass durch die zweite Mannschaft wieder mehr junge Spieler die Chance erhalten werden, sich zum Fußballprofi durchsetzen zu können in Frankfurt. Der Sportdirektor über die Zusammensetzung der Mannschaft: „Sie wird aus einem Kernteam bestehen und dem einen oder anderen Jungprofi, der Spielpraxis sammeln kann, aber auch den einen oder anderen, der 17 oder 18 Jahre alt ist, wo wir das Gefühl haben, er sollte jetzt den nächsten Schritt gehen. Es ist am Ende eben ein großer Unterschied, ob du als 17-Jähriger gegen einen Gleichaltrigen spielst oder gegen einen 25-jährigen Verteidiger mit Erfahrung”. Was den Nachwuchs insgesamt anbetrifft, verkündete Krösche einen Wechsel vom Mannschafts- zum Spielerparadigma: „Wir haben die klare Idee, dass wir das große Ganze verbessern wollen, indem wir uns auf das kleinste Teil fokussieren: Auf den Spieler. Weniger auf die Mannschaft und das Ergebnis.“ Der Fokus müsse „auf die Entwicklung der Spieler gelegt wird und nicht auf das Ergebnis- im Gegensatz zum Profibereich: Du musst auch mal gewinnen.“ 


Ein Problem ist zweifellos, dass sich im Nachwuchs zu viele „Ergebnistrainer“ tummeln, was der individuellen Weiterentwicklung von Spielern schadet. Joti Chatzialexiou, beim DFB Sportlicher Leiter der Nationalmannschaften: „Die Trainer und Verantwortlichen müssen in der Tabelle gut dastehen und dürfen keinesfalls absteigen. Viele Mannschaften parken daher im Spiel den Bus vorm Tor, um mit aller Macht Ergebnisse zu erreichen. Der Fokus liegt also auf der Mannschaftstaktik und nicht auf der Entwicklung des einzelnen Spielers.“ 

Das ist richtig. Andererseits ist aber auch Ruhnert zuzustimmen, wenn er darauf verweist, „Die U19, umso mehr die U19-Bundesliga, ist Vorbereitung auf den Profifußball. Als Manager eines Profiklubs halte ich fest: Ich möchte Spieler mit einem Verständnis für verschiedene Spielsysteme. Und: Im Profibereich geht es um Ergebnisse. Darauf muss ich die Jungs doch vorbereiten.“ 


Ruhnert plädiert für ein Kompromiss-Modell: „Man kann drei Halbzeiten spielen und nur zwei werten. Die dritte ist eine Entwicklungs-Halbzeit, da kommen dann die Spieler 12 bis 18 zu Einsätzen. Da geht es um Ausbildung, da bin ich dabei.“ 

Die übergeordnete Frage lautet: Was ist mir wichtiger? Dass meine U19 Deutscher Meister wird, dank einer großartigen Mannschaftsleistung? Oder die Zahl der Spiele, die aus diesem Team den Sprung in den Profibereich schafft, eventuell über den Zwischenschritt U21/U23? 

Dass die U17 und U19 der Preußen in der kommenden Saison „nur“ Westfalenliga spielen, ist bedauerlich, bietet aber auch Chancen. Bundesliga bedeutet für die jungen Preußen Jahr für Jahr Überlebenskampf pur – schließlich spielt man in einer Liga mit dem Nachwuchs der Erstligisten Gladbach, Köln, Schalke, Dortmund, Leverkusen und Bochum, deren Akteure häufig de facto schon Profis sind. Ein Spiel aktiv und offensiv zu gestalten, lernt man hier nur bedingt. Anders als in der Bundesliga, werden in der Westfalenliga die Preußen das Team sein, das mehr Ballbesitz verbucht. Es wird vornehmlich ein Spiel mit dem Ball sein – mitunter gegen mauernde Gegner. Ich glaube nicht, dass das schlecht für die Ausbildung der Spieler ist. Den Rest kann man in Testspielen gegen die „ganz Großen“ lernen