ZEITSPIEL weekly

3.4.2023

Kein Clásico in Deutschland


Von Dietrich Schulze-Marmeling 

 

 

Der FC Bayern hat den „deutschen Clásico“ gewonnen. Mit dem echten „Clásico“, dem Duell zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona, hat der „deutsche Clásico“ wenig zu tun. Weshalb wir dieses Marketing-Gequatsche vom „deutschen Clásico“ endlich beenden sollten.

Dass Bayern gegen BVB zumindest in der Gesamtschau kein Duell auf Augenhöhe ist, dokumentieren allein schon folgende Zahlen: In Deutschland hieß der Meister in den zehn Spielzeiten 2012/13 bis 2021/22 stets FC Bayern. In Spanien wurde die Meisterschaft in diesem Zeitraum fünfmal von Barca, (nur!!!) dreimal von Real und zweimal von Atlético gewonnen. Von den 22 Bundesligaduellen 2012/13 bis 2022/23 gewann der FC Bayern 15, macht 68,2 Prozent. Der BVB gewann drei dieser Spiele (= 16,6 Prozent), vier endeten unentschieden. Von den 22 Primera División-„Clásicos“ 2012/13 – 2022/23 gewann Barca zehn und Real acht. Viermal gab es ein Remis. 

 

Der FC Bayern kolportiert periodisch, auch er sei an mehr Ausgeglichenheit an der Spitze und damit mehr Spannung in der Liga interessiert. Man würde sich wünschen, dass die Konkurrenz einen mehr fordert.  

Dass auch das nur Gequatsche ist, haben die letzten Tage gezeigt. Kaum rückt der BVB den Bayern auf den Pelz, wackelt in München der Trainer. Natürlich wollen die Bayern die Liga immer dominieren. Sie wollen jedes Jahr Meister werden, Pokalsieger ebenfalls. Und sie hätten auch nichts dagegen, regelmäßig die Champions League zu gewinnen. 


Das ist auch nicht verwerflich. Wäre der BVB in der Position der Bayern, er würde nicht anders denken. Klar, ein bisschen mehr Spannung könnte der Vermarktung der Liga gut tun. Aber es darf auch nicht zu spannend sein. Dass der BVB die Tabelle nach 25 Spielen mit einem Punkt mehr anführte…grenzwertig! Und dass hinter den Borussen Mittelklassenvereine wie Union Berlin und der SC Freiburg rangieren, Union mit nur vier Punkten Abstand zu den Bayern, das sollte nie wieder passieren. 


Für die Bayern waren die Spielzeiten 2010/11 und 2011/12 ein Trauma, das sich nicht wiederholen darf. Nie wieder! Damals wurden die Bayern von einem BVB-Team auf die Plätze verwiesen, das weit weniger hochkarätig besetzt war als das eigene. 


Hinzu kommt die Logik des Turbokapitalismus, in dem es keinen Stillstand und keine Rückschläge geben darf. In dem die Umsätze stetig steigen müssen, was ohne den Gewinn von Titel und Trophäen kaum geht. Jedenfalls dann, wenn man ganz oben angelangt ist. 

 

Edin Terzic macht in Dortmund einen tollen Job. Dabei wusste „Altstar“ Mehmet Scholl, als Trainer hinterließ er keine Spuren, schon nach Terzic' zweitem Auftritt als Cheftrainer der Borussen, in welche Schublade der Novize gehöre. Terzic sei ein „Laptoptrainer“! Terzics sachliche Analyse nach der schwarz-gelben Niederlage war für Scholl „nicht greifbar“. Diese sei so, „als würde ich sagen, morgen geht die Sonne weiter“. Tatsächlich hatte Terizic' Analyse Scholl fachlich überfordert. Jürgen Klopp stellte die berechtigte Frage: „Welche Daseinsberechtigung hat Mehmet Scholl, über Trainer zu urteilen?“ Die Daseinsberechtigung wurde Scholl von jenen Medien ausgestellt, die vom Ex-Profi genau diese Sprüche hören wollten. 

 

Womit ich zur Nationalmannschaft komme. Nach der Länderspielpleite gegen Belgien forderte Didi Hamann die Trennung von Hansi Flick. Vermutlich wurde Flick wegen seines „Sextuples“ mit den Bayern, dem sehr besondere Umstände zu Grunde lagen, überschätzt, aber das ist hier nicht das Thema. Zumal wir berücksichtigen müssen: Es ist nur die Nationalmannschaft. Und einen richtig großen Trainer findet man für eine solche nicht. Nationalmannschaft macht man, wenn man auf den Stress des Vereinstrainers keinen Bock hat. Oder für diesen Job nicht geschaffen ist. Oder zum Abschluss der Trainerkarriere.

Worum es hier geht, ist das Zusammenspiel zwischen „Altstars“ und einigen Medien. Einige „Altstars“ leben davon, dass ihre Aussagen zum „Spruch des Tages“ gekürt werden. So gerät man nicht in Vergessenheit. Aufsehen erregt aber nur, wer die „Weg mit…“-Industrie des Fußballs bedient. „Flick macht im Prinzip einen ordentlichen Job, das Spielerreservoir gibt für bestimmte Positionen wenig her, dass er in den ersten Post-WM-Länderspielen experimentiert, neuen Gesichtern eine Chance gibt und den Arrivierten eine Pause gönnt – kann man machen…“ – ja, wie langweilig ist das denn? Damit erzielt man keine Klicks. 

Hamanns Forderung nach einer Ablösung von Flick rauschte durch den Blätterwald und die sozialen Medien. Kaum eine Plattform, die diese nicht aufgriff und in ihrem eigenen Design verbreitete. Davon kann der Didi wieder eine Woche leben. (Nicht materiell gemeint.) 


Niemand fragt, wie kompetent Didi Hamann eigentlich ist. Ob Didi Hamann wirklich dazu in der Lage ist, die Arbeit eines Trainers kompetent zu beurteilen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle Journalisten, die die Sprüche von Hamann und Co. aufbereiten und verbreiten, tatsächlich der Meinung sind, dass es sich bei den Urhebern stets um fachliche Koryphäen handelt. Einige „Altstars“ betätigen sich ja auch deshalb als Sprücheklopfer, weil sie für andere Jobs im Spiel nicht taugen. Nicht als Manager, nicht als Trainer, nicht als Aufsichtsrat. 


Man fragt sich, warum jede Äußerung eines „Altstars“ dermaßen auf die Goldwaage gelegt wird? (Allerdings auch nur dann, wenn sie mit „Weg mit…!“ beginnt.) 


Eine Frage, die einer eigenen Erörterung bedarf: Was macht der Fußball mit Spielern (manchmal auch Trainern: siehe Magath), dass diese später ihre Mission darin sehen, die Trainer und die nächste Generation von Spielern hemmungslos platt zu machen? (Zugleich wird über die eigene Karriere manchmal viel Unsinn erzählt.)

Spontan habe ich dafür nur zwei Erklärungen. Erstens: Die Angst, in Vergessenheit zu geraten. Was schmerzhaft ist, wenn man neben dem Fußball wenig auf die Reihe bekommen hat, keine Alternative zum Fußball besitzt, mit 30 plus noch nie in die „normale Arbeitswelt“ eingetaucht ist. Kurzum: Sich ein Leben ohne eine aktive Rolle im Fußball nicht vorstellen kann. Zweitens: Die eigene Erfahrung mit der Unerbittlichkeit des Fußballgeschäfts, die bereits erwähnten Wunden, die man in diesem davon getragen hat, die Verrohung, die damit einhergeht. Spielern werden wöchentlich Zensuren erteilt – öffentlich. Ihre angeblichen oder tatsächlichen Fehler werden vor einem Millionenpublikum seziert. Kein Journalist muss am Montag in sämtlichen Medien des Landes lesen, dass sein Spielbericht nur eine „5“ verdient, dass seine Zeit abgelaufen ist, dass es an der Zeit ist, dass die Chefetage nach einer Alternative auf seiner Position sucht. 

Souverän sind häufig diejenigen, die sich während ihrer Karriere nicht nur mit Fußball beschäftigt haben. Und deshalb auch die Wunden, die man in ihre Seele geschlagen hat, besser verarbeiten können. Sofern es überhaupt gelungen ist, diese Wunden zu schlagen. Von Leuten, die im Fußball professionell unterwegs sind, hört man immer wieder: „Ich kann mit dem, was über mich geschrieben wird, negativ wie positiv, ganz gut umgehen, weil ich noch andere Interessen bzw. ein Leben neben dem Fußball habe. Weil ich weiß: Fußball ist nicht alles.“ Von wegen „Fußball ist mein Leben“.