ZEITSPIEL weekly
30.8.2023
60 Jahre Bundesliga: Einige Fragen und einige Antworten
Ist die Faszination noch da? Ja. Aber sie war mal stärker. Ein Grund: Zu wenig Wettbewerb um den Titel. Des Weiteren zu viele „Traditionsvereine“ aktuell nicht dabei (Schalke, Düsseldorf, HSV, Hannover, Nürnberg, Hertha, Kaiserslautern, St. Pauli…), dafür viele Klubs ohne „Tradition“ (bewusst in Anführungszeichen gesetzt).
Jammern ist aber nicht angebracht. Diese Klubs haben sich die Erstklassigkeit sportlich verdient. Auch die Vereine, für die 50+1 nicht gilt? Kann man drüber reden. Sinnvoller ist es aber, zu schauen, was haben sie gut bzw. besser gemacht. Die großen Traditionsklubs sind auch nicht einfach nur verdrängt worden.
Schaue ich mir die Bundesliga an? Ja, aber die „Sportschau“ der ARD plus das ZDF-„Sportstudio“ reichen mir. (Plus „Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“…) Und ab und an ein Spielbesuch.
Ansonsten bevorzuge ich die „ökologische Variante“. Der nächste Profiklub spielt in Münster, von mir bis zum Stadion ca. eine Stunde mit dem Fahrrad. Antik-Arena mit guter Stimmung. Mensch sieht u.a. gegen 1860, Dresden, Essen, Saarbrücken, Bielefeld…immerhin.
Kann das Projekt Bundesliga einen Niedergang erleben? Ja. Warum? Auf Grund der Fantasielosigkeit und Gier einiger ihrer „Macher“, die nur ein Problem kennen: „Die Premier League rennt uns davon, die Saudis nun auch!“ Die Lösung? „Kohle! Wir brauchen mehr Kohle!“
Ergo konzentrieren sich die Chefetagen fast ausschließlich auf die Erschließung von neuen Geldquellen. Daran hätte auch die Billigung des gescheiterten Investoren-Modells nichts geändert. In einigen Jahren hätten wir erneut gehört: „Wollen wir sportlich und finanziell überleben, dann benötigen wir ‚frische Kohle‘.“ (Während der Pandemie gelobte man Besserung: Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung, ein bisschen mehr Demut etc. - geblieben ist hiervon nichts…) Ob das dauerhaft funktioniert?
Angesichts der astronomischen Zahlungen an Spieler und ihre Berater sind Mitleid und Solidarität ohnehin fehl am Platz.
Die Rummenigges, Watzkes und Co. haben keine Vision, wie eine Liga auch dann noch attraktiv sein könnte, wenn Engländer und andere uns davonlaufen – was mir ohnehin keine schlaflosen Nächte bereitet, denn ich sehe auch gerne den Fußball anderer Länder…. Es existiert keine Vision von einer bundesligaeigenen DNA.
Fantasielosigkeit, Gier und Fixierung auf rein monetäre Lösungen haben dazu geführt, dass man nun erstaunt konstatiert, dass die Premier League der Bundesliga auch in Sachen Nachwuchsarbeit davongelaufen ist. Und nicht nur die Premier League, auch Frankreich und vermutlich sogar noch weitere Länder. Besonders berührt ist man aber wohl nicht. Konnte man ja auch schon vor Jahren wissen, aber diese NLZs waren auch ein bisschen aufgenötigt und gerieten hier und dort zum besseren Alibi.
Für einen Top-Klub ist das ja auch kein Problem – er versorgt sich auf dem internationalen Spielermarkt, einschließlich der Akademien. Nur sollte man dann lieber den Mund halten, wenn’s um die Nationalelf geht. Und sich selber die Frage stellen: Wenn mir die Nationalelf so stark am Herzen liegt, wie ich vorgebe – warum bilde ich dann nicht besser aus, lege ich nicht mehr Wert auf die Entwicklung „heimischer Spieler“? Und warum tue ich nicht mehr, um die Basis des Fußballs zu stärken, wo normalerweise die Karriere eines Spielers startet?
Das eigentliche Problem, das einige Klubs mit der DFB-Elf haben, lautet ja lediglich: Spielt diese schlecht, könnte dies international auch unserem Image schaden. (Vermutlich hätten einige Vereine überhaupt nichts dagegen, würde man die Nationalmannschaften abschaffen.) Alarmiert ist man immer dann, wenn ein Turnier im eigenen Land ansteht. Damit nicht der Stammtisch von der Fahne geht, wird Rudi Völler ins Boot geholt.
Womit kann die Bundesliga wuchern? Mit 50 +1 (wenn 50+1 für alle gelten würde…), mit einer größeren Fan-Nähe als in einigen anderen Ländern, mit ein bisschen mehr Mitsprache und Demokratie. Im Ausland beneiden uns viele um die Stimmung in den Stadien und unsere Fan-Kultur, einschließlich der kritischen Fan-Szene. Dinge, denen aber im Rennen mit der Premier League und anderen die Zerstörung droht. Die Liga könnte noch viel stärker mit Werten wuchern. Hierzu fehlt aber einigen ihrer Macher der Zugang.
Könnte die Abschaffung von 50+1 eine Lösung sein? Theoretisch haben wir zwei Optionen. Option 1: Mehr Wettbewerb durch eine andere Verteilung der TV-Gelder. Option 2: Eben die Abschaffung von 50+1. Option 1 wäre die sportlich fairere und bessere Lösung. Sportlich fairer, weil nun die Qualität der Arbeit der einzelnen Klubs einen noch größeren Stellenwert bekommen würde. (Der FC Bayern kann sich eine schlechtere Ausbildung als der SC Freiburg und Fehlgriffe auf dem Transfermarkt leisten – und wird am Ende trotzdem Meister.)
Option 1 wird aber nicht kommen, ist mit Bayern München und dem BVB nicht zu machen. (Wie man die Beibehaltung von 50+1 und eine andere Verteilung der TV Gelder mit dem Projekt einer bundesligaeigenen DNA verbinden kann, hierzu hat u.a. Andreas Rettig Vorschläge gemacht, aber auch der FC St. Pauli
Option 2 würde zu einigen Verschiebungen führen, kann aber auch bedeuten, dass die Unterschiede noch größer werden. Hannover 96 bekommt einen Investor, der aber im Vergleich zum saudischen Staatsfonds, der den FC Bayern erwirbt, nur eine kleine Nummer ist. Und will mensch eine Liga, in der die spannendste Frage vor dem Saisonstart ist: Wer bekommt welchen Investor?
Was denke ich über die „Super League“? Kein Freund davon, für mich wäre sie eine reine TV-Liga. Wobei mich auch hier nicht jedes Spiel interessieren würde.
Aber für die Bundesliga muss die „Super League“ nicht nur schlecht sein – sofern dies bedeutet, dass Bayern, BVB und RB Leipzig nicht mehr mitspielen.
Die niederländische Eredivisie hat auch das Bosman-Urteil überlebt. Im europäischen Kontext haben die niederländischen Klubs zwar einen Bedeutungsverlust erlitten, aber Profifußball wird dort immer noch gespielt. Häufig vor guten Kulissen. In der Saison 2022/23 verbuchten in der Eredivisie drei Vereine einen Zuspruch von über 30.000, zwei weitere über 20.000. Alkmaar, ca. 108.000 Einwohner, kam im Schnitt auf fast 17.000 Besucher. Enschede, ca. 160.000 Einwohner, auf fast 30.000. Und dies obwohl die Entfernung zum nächsten Erstligisten in den Niederlanden im Schnitt deutlich kürzer ist als hierzulande. 2022/23 kam die Eredivisie auf einen Gesamtschnitt von knapp über 20.000, die Bundesliga auf etwas über 40.000. Aber die Niederlande hat nur 17,5 Mio. Einwohner, die Bundesrepublik ca. 83,5, also fast fünfmal so viele….
Es heißt, der Bundesliga würde es an internationalen (bzw. international vermarktbaren) Stars mangeln. (Seit dem Sommer spielen acht der zehn bestbezahlten Fußballer der Welt in Saudi-Arabien.) Dies würde die Auslandsvermarktung erschweren. Aber die Bundesliga und der deutsche Profifußball brechen deshalb nicht zusammen.
Allerdings bedarf es im globalen Rattenrennen eines anderen Selbstverständnisses. (By the way: Der BVB liefert momentan ein Beispiel dafür, wie bei der Auslandsvermarktung Sport und Geschäft miteinander kollidieren können. So schreibt der „Kicker“ zum holprigen Bundesligastart der Schwarz-Gelben: „Natürlich spielt dabei auch die kurze Vorbereitung eine Rolle. Die USA-Tour war wirtschaftlich wichtig, sportlich aber schwierig: lange Flugzeiten, Jetlag, unterschiedliche Trainingsplätze, teils sehr heiße Temperaturen - das zehrte an den Kräften. Zahlreiche Spieler verletzten sich dann auch während der elftägigen Tour, mussten mal tageweise aussetzen, mal für mehrere Wochen. Dass dabei Rhythmus verloren ging bzw. noch gar nicht richtig aufgenommen werden konnte, liegt auf der Hand.“)
Aber was ist mit Europa, wenn die „Super League“ kommt? Nun, wir haben ja bereits die Champions League. Und trotzdem war die Begeisterung über einen „deutschen Triumph“ in der Saison 2021/22 extrem groß – obwohl Eintracht Frankfurt mit der Europa League nur in der 2. Liga Champion wurde. Deutlich größer als bei Bayern Münchens Champions League-Sieg ein Jahr zuvor.
Auch aus der dritten Liga Europas, der Conference League, gibt es interessantes zu beobachten. In der Saison 2022/23 kamen zu den drei Heimauftritten des 1. FC Köln jeweils 47.000 Zuschauer.
Dass die Bundesliga auch ohne Bayern, BVB und RB funktionieren und attraktiv bleiben würde, dokumentiert die 2. Bundesliga, wo kein Deutscher Meister gekürt wird und keine Teilnahme an der Champions League oder anderen europäischen Wettbewerben winkt.
In der Saison 2022/23 belegte die 2. Liga in der Zuschauergunst Platz 6 in Europa und befand sich fast auf Augenhöhe mit der 1. Liga in Frankreich. In der Saison 2023/24 wird etwa die Hälfte mit einem Schnitt von mehr als 20.000 abschließen, fünf bis acht von ihnen mit mehr als 30.000.
Wenn’s die Bayern, der BVB und einige andere nicht können, dann darf sich der Rest der Veranstaltung trotzdem Gedanken darüber machen, wie man aus einer Spirale, die die hiesigen Probleme nicht löst, sondern eher noch verschärft, ausbrechen kann. Über einige Fragen wird man nur vernünftig diskutieren können, wenn man die spezifischen Befindlichkeiten der Bayern, des BVB etc. ignoriert.
The worst case: Saudi-Arabien, Super League, Bayern-Dominanz, E-Sports etc. – droht uns ein Ende des Fußballs?
Ein komplexes Thema, kann hier nur angerissen werden. Es heißt: Die jüngere Generation sei total auf die Stars fixiert, der Verein würde kaum noch interessieren. Komplett neu ist das nicht: Ich wurde wegen Hans Tilkowski BVB-Fan, andere wegen Beckenbauer und Müller Fan der Bayern. Okay, damals blieb mensch auch noch nach dem Ende der Karriere der Idole Fan des Klubs. (Stimmt auch nicht so ganz: Als Tilkowski zu Eintracht Frankfurt wechselte, war ich auch ein bisschen Fan der Hessen. Zumindest hoffte ich, dass „Til“ die Bude sauber hielt.) Das mag heute etwas anders sein. Aber wie viele Superstars, denen mensch von Klub zu Klub folgt, gibt es eigentlich?
Was die Zahl der Aktiven angeht, so hat der Fußball seinen Höhepunkt hierzulande möglicherweise überschritten. (International gestaltet sich das Bild etwas anders.) Als ich noch in einem Amateurverein engagiert war, habe ich manchmal gehofft, dass uns andere Disziplinen / Abteilungen Kinder und Jugendliche abnehmen würden…Der Boom ging mir manchmal ziemlich auf den Geist, war auch nur schwer vernünftig zu managen. Eben mal schnell geschaut: Der Berliner Amateurklub FC Internationale zählt aktuell 32 Mannschaften. Der heimische Amateurverein in der Saison 2022/23 noch 25 – bei 11.000 Einwohnern. Anfang der 1990er waren es sieben Teams. Um 2010 herum 35. Einen Niedergang sehe ich nicht – eher eine „Normalisierung“.
Und die Zuschauer betreffend: Wir haben uns darauf eingestellt, dass die Stadien zu fast hundert Prozent ausgelastet sind. Ich bin noch mit halbvollen Stadien aufgewachsen. Bei meinem Lego-Nachbau des BVB-Stadions „Rote Erde“ (Fassungsvermögen im Original: 39.000) war ein Drittel der Ränge leer, sodass mensch die Wellenbrecher sehen konnte – das entsprach dem Bild bei meinen Besuchen, ausgenommen Revier-Derbys, Besuche des FC Bayern etc.). In meiner ersten Bundesligasaison 1965/66 betrug der Schnitt der Liga 25.000 – obwohl noch ohne Hoffenheim, Wolfsburg, Leverkusen etc., dafür aber mit dem HSV, 1860 München, Hannover 96, 1. FC Nürnberg, Schalke 04, 1. FC Kaiserslautern… Heute beträgt er um die 40.000.
Auch sind die Entwicklungen durchaus unterschiedlich. Hoffenheim hat 3.000 bis 4.000 Zuschauer verloren, Union Berlin muss sein Stadion mächtig ausbauen. In Freiburg dachte ich, dass das neue Stadion mit einem Fassungsvermögen von 34.700 zu groß geraten sei, aber dann kamen in der Saison 2022/23 im Schnitt 34.102 Zuschauer und neun der 17 Spiele waren ausverkauft.
Auch wenn der Gesamtschnitt um 3.000 bis 5.000 sinken würde – dies würde mir noch keine Abkehr vom Fußball signalisieren. Zumal mensch auch noch die Zahlen in der 2. und 3. Liga berücksichtigen müsste, die die Verluste im Oberhaus gewissermaßen kompensieren – auf Grund ihrer attraktiven Zusammensetzung (s.o.).
Wie wenig der Fußball tot ist, dokumentierten die Wochen während der WM in Katar mit erstaunlichen Zusprüchen bei Spielen in der Regionalliga und der Bundesliga der Frauen. Es muss nicht immer nur Oberhaus sein. Und auch nicht immer nur der Fußball der Männer.
Dafür steht auch meine eigene Erfahrung in Münster. Große Depression nach dem Abstieg in die Viertklassigkeit im Sommer 2020. In der Saison 2022/23 verbuchte der Klub dann in der Regionalliga einen Zuspruch, der besser war als in sieben der neun vorausgegangen Drittliga-Spielzeiten….
Und Saudi-Arabien? Macht schlechte Laune. Verdirbt mir aber nicht die Lust auf den Fußball. Auch nicht auf die Bundesliga. Solange wie die Saudis hier nicht Klubs kaufen.