ZEITSPIEL weekly

30.5.2023

Fußball im Zirkus Maximus


Von Hardy Grüne 

 

Was für ein verrücktes Pfingst-Fußballwochenende! Erst die 3. Liga mit ihrer Last-last-last-Minute-Entscheidung zugunsten des VfL Osnabrück und dem tragischen Verlierer 1. FC Saarbrücken. Dann die Bundesliga, wo sich Mainz 05 Beschimpfungen anhören muss, weil man in Dortmund offensichtlich erwartet hat, dass die Rheinhessen statt Narrenkappen rote Teppiche für den seit Wochenfrist bereits gefühlten Deutschen Meister dabei haben. Und dann schließlich der HSV und seine ewige Zweitligatragik, die nun den neuen Eintrag „Heidenheim“ aufweist. Irgendwie ein passender Ort für einen Weltklasseverein, der gerade das Jubiläum des größten Erfolges seiner Verbandsgeschichte feiert.

Auch als dem Profizirkus zunehmend reserviert gegenüberstehender Fan war es ein Wochenende der großen Emotionen. Es ist nun mal elementarer Bestandteil des Fußballs, dass es am Ende um alles oder nichts geht. Und das sorgt für Spannung und Aufmerksamkeit. Dass es an diesem historischen Wochenende gleich in allen drei Ligen derart dramatisch zugeht, ist allerdings ungewöhnlich. Wir erinnern uns alle an die letzten Jahre, als die Bayern gefühlt irgendwann nach Weihnachten schon die Meisterschale im Sack hatten. Spannung tut dem Fußball gut, und es tut dem Fußball auch gut, dass es Teams wie Köln und Mainz gibt, die bis zum Schluss trotz Bedeutungslosigkeit aus eigener Sicht die Ärmel hochkrempeln. Dass Mainz in Dortmund mit 2:0 in Führung ging, sollte man nicht Mainz ankreiden.

Auch anderswo ging es dramatisch zu. Luton Town schaffte erstmals in der Vereinsgeschichte den Aufstieg in die Premier League. Der Klub spielte vor ein paar Jahren noch in der fünften Liga und hat sich seitdem sagenhaft entwickelt. Ohne Investor aus den USA oder den Golfstaaten übrigens. Dass beim Sensationsklub einer meiner Lieblingsspieler Tom Lockyer entscheidend am Aufstieg beteiligt war, der im Play-Off-Finale nach acht Minuten benommen vom Platz getragen werden musste, machte mich allerdings betroffen. Lockyer spielte viele Jahre für meinen Klub Bristol Rovers, und in der laufenden Saison war er bei mehreren Auswärtsspielen im Gästeblock als Fan dabei.

Bis zur allerletzten Sekunde wartete auch Sheffield Wednesday im Play-Off-Finale zur Championship gegen Barnsley mit dem Siegtreffer. 40.000 Fans hatten „The Owls“ in Wembley mit dabei - als Drittligist! Ebenso die Viertligisten Stockport County und Carlisle United, die zum Aufstiegsspiel zur 3. Liga zusammen 34.000 Fans nach Wembley brachten und deren Partie bis ins Elfmeterschießen ging.  


Haben Play-Off-Spiele, bei aller Kritik (wie sie aktuell Cottbus-Trainer „Pele“ Wollitz äußert), vielleicht doch etwas Gutes? Immerhin sorgen sie für konzentrierte Dramatik, auch wenn das gesamte Ambiente ein bisschen an das alte Rom und den Zirkus Maximus erinnert. Das Volk strömt auf die Ränge, um Blut zu sehen.

In den letzten gut zwei Wochen war ich in Luxemburg unterwegs und habe mich dort auf die Spuren des Fußballs begeben. Der Ligaalltag im Land ist eher beschaulich. Jeunesse Esch und Progrès Niederkorn locken schon mal vierstellige Kulissen an, der große Rest aber muss mit Zuschauerzahlen zwischen 200 und 600 auskommen. In der ersten Liga wohlgemerkt. Nur ein Zeitraum im Jahr fällt aus dem Rahmen: Die „Barrage-Woche“. In der finden die Relegationsspiele um Auf- bzw. Abstieg statt. Da trifft dann der Viertletzte der 1. Liga auf den Vierten der 2. Liga usw. Das geht hinunter bis in die untersten Klassen und ist ein echter Zuschauermagnet. Und eine Dramatikmaschine.

Das erste Play-Off zwischen Erstligist CS Fola Esch und Zweitligist FC Jeunesse Canach am Donnerstag war an Spannung nicht überbieten und gehört zu den unterhaltsamsten Spielen, die ich jemals gesehen habe. Am Ende stand ein 4:3 für Esch, flossen Tränen bei Canach, das in der Nachspielzeit noch mit 3:2 in Führung gegangen war. Relegation ist auch brutal.

Zwei Tage später duellierte sich Zweitligist Bettembourg, normalerweise vor selten mehr als 150 Menschen aufspielend, mit Erstligist Käerjeng und reiste mit einer imposanten Kulisse ins neutrale Niederkorn. Darunter eine Rasta-Band, die 90 Minute fröhliche Stimmung verbreitete. Das technisch arg limitierte Team kämpfte zwar wie die Löwen, verlor aber am Ende mit 2:3 und blieb damit Zweitligist. Was angesichts der spielerischen Darbietung vielleicht ganz gut ist. Für den Klub war die Teilnahme am Barrage dennoch Gold wert, denn es war ein Highlight, auf das sich die gesamte Stadt freute.

Am Sonntag dann das Duell zwischen Zweitligist FC Jeunesse Junglinster und dem vor einigen Jahren in die 3. Liga abgestürzten Traditionsklub FC Avenir Beggen. Deutlich über 1.000 Fans kamen nach Hostert und schwitzten in der warmen Pfingstsonne. Selbst Luxemburgs Verbandspräsident Paul Philipp war angereist, um seinen Stammverein aus Beggen zu unterstützen. Am Ende stand ein beinahe surreales 5:1 für den in der zweiten Halbzeit furios aufspielenden Drittligisten, der zur Freude seiner zahlreichen mitgereisten Anhänger damit endlich (zumindest) in die 2. Liga zurückkehrt. „Die Barrage sind schon geil“, sagte mir ein Fan, „da kommen ganz viele Leute, die sonst nicht ins Stadion gehen“.

Ein Plädoyer für Relegationsspiele? Vorbild Luxemburg? „Pele“ Wollitz – bitte übernehmen.

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